Wenn die Leiste schmerzt
von Dr. Wolfgang Rädel
Beschwerden in der Leistenregion kommen im Alltag sehr häufig vor. Oft können sie vom Betroffenen nicht eindeutig zugeordnet werden, weil die Bauchdecke, das Hüftgelenk und die Muskulatur des Oberschenkels sowie Genitalregion an dieser Stelle zusammentreffen.
Eine der häufigsten Ursachen ist dabei ein Leistenbruch. Dennoch können die Ursachen für Leistenbeschwerden sehr vielfältig sein.
Die Zahl der Menschen, die jedes Jahr an einem Leistenbruch erkranken, wird mit ca. 1.8 Millionen geschätzt. Annähernd 200.000 Patienten werden jährlich an einem Leistenbruch operiert.
Damit gehört der Leistenbruch zu den Erkrankungen, die am häufigsten operiert werden. Er tritt in allen Lebensaltern auf und Männer sind wesentlich häufiger betroffen als Frauen.
Die Ursache für die Entstehung eines Leistenbruches liegt in einer Bindegewebsschwäche. Das Nachlassen des Faser- und Muskelgewebes führen zu einer Ausdehnung und später zu einer Lücke in der Bauchdecke. In der Leistenregion ist unsere anatomische Struktur dafür verantwortlich, dass gerade dort vorwiegend solche Brüche, die man auch Hernien nennt, auftreten. Bei Männern besteht in der Leistenregion ein sogenannter Leistenkanal, wo der Samenstrang den Bauchraum verlässt und hinunter zum Hoden zieht. Diese Austrittsstelle kann bei zusätzlicher Bindegewebsschwäche zu einer Vorwölbung aus dem Bauchinneren führen.
Bei Frauen ist dieser sogenannte Leistenkanal wesentlich schwächer ausgeprägt. Darin liegt auch der Grund, dass Männer wesentlich häufiger von einem Leistenbruch betroffen sind als Frauen.
Der Leistenkanal entsteht in der embryonalen Entwicklung des Kindes. Deshalb kann es den Leistenbruch auch schon als angeborenen Bruch beim Säugling geben. Oft wird er als „Schreibruch“ bezeichnet. Man unterscheidet deshalb auch den angeborenen vom erworbenen Leistenbruch. Der Facharzt benennt je nach Lokalisation den Bruch als Leistenbruch, Hodenbruch oder Schenkelbruch. Auch an anderen Stellen der Bauchdecke können solche Brüche entstehen, wie zum Beispiel genau in der Mitte am Nabel oder auch an der Seite des Rumpfes.
Sichtbare Vorwölbung ist typisches Anzeichen
Durch die entstandene oder erworbene Lücke kann es dann beim Pressen (Husten, Niesen) oder Stuhlgang durch den erhöhten Druck im Bauchraum zum Vorwölben der Bauchinnenhaut (Bauchfell) und von Bauchorganen wie zum Beispiel dem Darm oder dem großen Netz kommen.
Die typischen Zeichen eines Leistenbruches sind eine spürbare und oft auch sichtbare Vorwölbung der Leistenregion. Oftmals treten Schmerzen in der Leistenregion, ein unregelmäßiges Stechen oder ein unangenehmes Gefühl beim Pressen auf. Im frühen Stadium ist eine Vorwölbung oft noch nicht sichtbar. Durch eine gezielte Untersuchung durch den tastenden Finger des Arztes kann jedoch eine kleine Lücke festgestellt werden, die oft auch schmerzt. Die Untersuchung erfolgt am besten am liegenden und am stehenden Patienten. Meist sind zusätzliche aperative Untersuchungen gar nicht erforderlich. Der erfahrene Untersucher kann einen Leistenbruch sehr schnell erkennen.
Neben recht eindeutigen Befunden können die Beschwerden in der Leistenregion aber auch eine umfangreichere Diagnostik erforderlich machen.
Häufig klagen auch Sportler über Beschwerden in der Leiste. Hier muss bei wie bei allen anderen Patienten auch natürlich geklärt werden, ob Erkrankungen des eng benachbarten Hüftgelenkes eine Ursache darstellen können. Der Begriff der „weichen Leiste“ wird gerade bei Fußballspielern und bei Sprungsportarten häufig benutzt. Die Ursache ist oftmals eine Überbeanspruchung des Bindegewebes in der Leiste durch die extremen Bewegungen und damit eine voranschreitende Ausdünnung des Gewebes. Auch Probleme in den Muskelansätzen der Oberschenkelmuskulatur wie den Adduktoren lösen Leistenbeschwerden aus.
Befragung und ausführliche Untersuchung
Natürlich können auch Erkrankungen der Nieren und der Harnleiter durch ihren anatomischen Verlauf Beschwerden in der Leistenregion verursachen. Auch Erkrankungen in der unteren Wirbelsäule, ein Bandscheibenvorfall oder eine Arthrose, kommen in Frage. Meist sind eine ausführliche Befragung des Patienten und eine umfassende Untersuchung zielführend. Ergänzend hierzu können natürlich Röntgenuntersuchungen, MRT oder eine Ultraschalldiagnostik herangezogen werden. Auch Entzündungen der Lymphknoten können zu Leistenschmerzen und Schwellungen führen.
Ein Leistenbruch entwickelt sich meist über eine längere Zeit und wird oftmals kontinuierlich größer. Meist werden damit auch die Schmerzattacken stärker. Auf Grund der ursächlichen Bindegewebsschwäche kann auf eine spontane Heilung nicht mehr gehofft werden. Die Operation ist in diesem Fall die Behandlung der Wahl. Die meisten Leistenbruchoperationen können als planbare Operationen durchgeführt werden. Der Eingriff kann ambulant oder stationär erfolgen. Es ist möglich, die Bruchoperationen in örtlicher Betäubung oder auch in Vollnarkose durchzuführen. In seltenen Fällen kann sogar eine Notfalloperation erforderlich werden, wenn nämlich Inhalt aus dem Bauchraum sich in der Bruchlücke derart einklemmt, das die Durchblutung gestört ist und ein Gewebeuntergang droht.
Es stehen verschiedene Operationsverfahren zur Verfügung. Anfangs wurden alle Leistenbrüche von außen über eine längere Schnittführung behandelt. Damit wurde das Sehnengewebe und die Muskulatur in der Leistenregion durch Naht verstärkt und die vorbestehende Lücke verschlossen. Da aber das Gewebe in seiner Struktur ja insgesamt eine Schwäche aufweist, musste auch immer wieder mit sogenannten Rezidiven, das heißt dem Wiederauftreten von Brüchen, gerechnet werden.
In den moderneren Verfahren wird heute die Versorgung des Leistenbruches in einer spannungsfreien Methode durchgeführt. Dabei wird in der endoskopischen Technik (vergleichbar mit der Schlüsselloch- Operation) ein synthetisches Netz von innen an die Bauchwand platziert und die Bruchlücke verschlossen. Damit entfällt auch die größere Schnittführung im Leistenbereich. Durch die Einheilung des Netzgewebes entsteht praktisch eine künstliche derbere Narbenregion, die ein erneutes Auftreten eines Leistenbruches verhindert. Die Patienten erholen sich nach diesem Eingriff rasch, mit einer längeren Arbeitsunfähigkeit oder gar längeren Sportpause muss nicht mehr gerechnet werden.
Erschienen in den Ruhrnachrichten, November 2013. (Klicken Sie hier [325 KB], um den Original-Artikel anzuzeigen)